Das "Hotel am Schillerpark". In Linz.
Der Stadt, in der ich geboren wurde.
Und "aufgewachsen" bin.
Aufgewachsen: Ein heute für mich altertümlich anmutendes Wort. Immerhin habe ich hier meine ersten 19 Lebensjahre verbracht.
Das 2. Bundesgymnasium besucht - die "Khevenhüllerschule" - und dort maturiert.
Die Tanzschule auf der Spittelwiese.
Am Wochenende aber bei der Konkurrenz im Raiffeisengebäude, weil dort die fescheren Hasen waren.
Dann noch das Bundesheer in Ebelsberg - einem Vorort von Linz.
Und dann ab nach Wien, zum Studieren und zum Dableiben. Fast 50 Jahre später kann ich nicht sagen: Linz ist meine Heimat. Oder Oberösterreich.
Auch wenn ich manchmal immer noch den Linzer Dialekt durchklingen lasse. Nicht absichtlich. Unbewusst.
Meine Heimat ist Wien. Dort wohnt meine Liebe. Symbolisch und real. Dort wurden meine Kinder geboren. Dort kenn ich mich aus.
Heute hatte ich in Linz einen Business-Termin.
Mit einem oberösterreichischen Weltbürger, der am Land aufgewachsen ist. Aufgewachsen. Und der den großen Horizont dahin bringt, wo er grade ist.
Der ohne Superlative in seiner Sprache auskommt. Sehr angenehm.
Nach dem Termin bin ich zu Fuß zum Hotel gegangen. Vom Hauptplatz bis zum Schillerplatz.
Für Linzer Verhältnisse - besser: gemessen an meiner Erinnerung - ein weiter Weg.
Von den Geschäften, in denen meine Eltern einkauften (und auch ich, als ich schon eigenes Geld hatte), gibt es fast kein einziges mehr. Aber ich habe am Hauptplatz die Dreifaltigkeitssäule gesehen - die Pestsäule, die ich in meiner Kindheit Dreifeuchtigkeitssäule nannte. Und die kleine Straße quer zum Hauptplatz, in der mein Vater sein Büro hatte und wo ich - Sensation! - als 5-Jähriger "Hänschen klein" in sein Diktiergerät singen durfte. Ein Diktiergerät! 1963!
Den "Derflinger" gibt es nicht mehr. Das Kleidungsgeschäft, wo mein Vater seine Anzüge kaufte und mir meinen ersten Smoking.
Oder das elegante Modegeschäft, vergleichbar mit dem "Sir Anthony" in Wien, dessen Name mir notorisch immer wieder nicht einfällt und wo ich dann meinen Schulfreund "Pfiff" danach fragen muss, weil sein Vater dort auch seine Krawatten gekauft hat.
Aber: EIN Laden existiert noch. Der "Zechel" - das Spielwarengeschäft, wo mein Freund Michi und ich unsere Nasen am Schaufenster plattdrückten, wenn wir nach dem sonntäglichen Mittagessen unserer Eltern im Klosterhof zurück zur Parkgarage gingen.
Ja - den Klosterhof gibt's natürlich auch noch.
Wenn es den Klosterhof einmal nimmer geben sollte, ist Linz gestorben. In echt.
Das Papiergeschäft "Wanke" ist auch weg. Dort hat meine Mutter den entscheidenden Tipp bekommen für eine Mathe-Nachhilfelehrerin, die mich vor mindestens drei Nachprüfungen bewahrte.
Frau Professor Thier. Sie lebte hochbetagt mit ihrer Schwester in einem Gebäude hinter dem Schuhhaus "Bally". Dort hat meine Omi ihre sündteuren Schuhe gekauft und sich dafür Rechnungen über Gummistiefel ausstellen lassen, weil sie die in ihrer Installationsfirma in die Buchhaltung werfen konnte.
Hinterm Bally, da war die Frau Professor.
Zu ihr bin ich immer mit meinem Rad gefahren.
In der Küche haben wir gelernt. Sie hatte schweren Parkinson und konnte das Geodreieck kaum halten. Aber sie mochte mich und ich sie.
Weiter geht's über die Mozartkreuzung mit Blick nach rechts zum Krankenhaus der "Barmherzigen Brüder" - in Linz immer nur "Die Brüder" genannt. Dort wurde ich geboren. Mein Bruder auch.
Und der Sonnberger-Opi war in seinen letzten Jahren oft da drin. Nach der Schule hab ich ihn dort besucht.
Dann das Hauseck, wo mein väterlicher Freund Kurt Baresch seine psychotherapeutische Praxis hatte. Der Deputierte Großmeister der Großloge von Österreich. (M)Eine Lichtgestalt. Heute hat dort ein Perückenhersteller sein Atelier.
Gegenüber immer noch der Bosna-Würstelstand, wo wir nach der Schule hingingen, um uns diese in jeder Hinsicht atemberaubende Köstlichkeit aus Bratwurst, Zwiebel, Knoblauch, Gurkerl, Senf, Ketchup reinzuziehen.
Und ein paar Schritte weiter zum Hotel am Schillerpark. So viele Nächte hab ich hier verbracht.
Die meisten en suite, als mein Vater starb und meine damalige Frau und ich unsere Silvester-Reise nach New York absagten, weil er schon so schwach war.
Und wir wohnten hier. Haben den Jahreswechsel im Casino gefeiert. Im selben Gebäude, wie das Hotel.
Und als wir zum Fenster rausschauten, blinkte an der Hauswand gegenüber das rote Neon-Logo der Boutique "New Yorker". DIE gibt es heute noch.
Das Hotel wurde mehrfach renoviert, die Gäste scheinen mit ihm mitzualtern.
Jetzt wollte ich im Restaurant Abendessen.
Geht leider nicht, weil der Koch krank geworden ist.
Was es gibt: Schinken-Käse-Toast und Marillenkuchen. Hab ich halt das bestellt. War gut.
In den Klosterhof bin ich entgegen ursprünglicher Absicht doch nicht gegangen. Allein in den Klosterhof ist Depri pur. Mach ich nicht.
Bin ja guter Laune heute.
Wenn ich schräg rüber schaue, sehe ich das große Gebäude, in dem früher das "Kolosseum"-Kino war. Dort hab ich die Freuden richtig "großer" Filme genossen, zuletzt der wunderbare Film über die "Comedian Harmonists" - damals, als der Vati im Sterben lag und ich die Abende überstehen musste.
Das Kino gibt's auch nimmer.
Und im früheren "Ohne Pause Kino", wo ich mit meinen Freunden den "Woodstock"-Film sah und Ten Years After mit "Goin Home" mein Nervengeflecht zerfetzten, ist heute ein McDonald's.
So vieles ist weg. Ich bin aber hier. Und meine Erinnerungen, die sich endlich friedlich anfühlen.
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