Trigger-Warnung:
Das wird ein längerer Text.
Gestern haben meine wunderbare Gabi und ich ein Experiment begonnen.
Bis inklusive 6. Oktober lesen und hören wir keine Nachrichten und halten uns von Social Media fern. Das inkludiert bei Gabi LinkedIn, Insta und Facebook, bei mir LinkedIn und Bluesky (auf
Insta und Facebook bin ich schon lange raus).
Wir ertragen den unaufhörlichen Beschuss mit Scheiße nicht mehr. Er macht uns müde, verdirbt uns die Freude am Leben, legt sich wie eine Bleiweste um unsere Seelen und kannibalisiert die
schönen guten Gedanken, die wir denken wollen und können.
Bis hierher kann ich unsere gemeinsamen Motive wiedergeben, ab hier erlaube ich mir ein paar Anmerkungen, für die ich Gabi nicht in die Pflicht nehmen will.
Die Diskursverschiebung nach rechts hat ein Ausmaß angenommen, das nur noch ekelig ist.
Der vor wenigen Tagen in den USA ermordete
Mr. Kirk wird mit beklemmender Konsequenz auch in "liberalen" Medien als "rechtskonservativ" bezeichnet. Bei gleichzeitiger Zitierung seiner unerträglichen rassistischen, frauenfeindlichen,
reaktionären, wissenschaftsfeindlichen "Äußerungen" aus den letzten Jahren.
Der Mann war ein Rechtsradikaler. Ja, er war ein Faschist reinsten Wassers. Und nirgends erheben sich die Stimmen der Konservativen und auch nicht der "Rechtskonservativen", die laut
aufschreien "Nein, mit so jemandem haben wir nichts gemeinsam, wir verbitten uns, dass dieser Hetzer in unser Denkgebäude eingeordnet wird."
Das erinnert an die Einsicht des Holocaust-Überlebenden Ralph Giordano, der bereits 1992 meinte:
"Die deutschen Konservativen und ihre Führungsriege sind unfähig, sich von rechts wirklich bedroht zu fühlen. Für sie steht der eigentliche Feind immer noch links. Rechts - das sind
irgendwie ungezogene Verwandte."
Begegnungen, wie wir sie erst kürzlich hatten, als wir eine bunt gemischte Runde bildungsbürgerlicher Konservativer kennenlernten und uns eingehüllt fanden in einem Kokon eines genuinen
Antifaschismus, sind zu extremen Raritäten geworden.
Der vermeintliche antifaschistische Konsens - die "Brandmauer" - hat in unserer Gesellschaft möglicherweise nie substanziell existiert und nun bricht der Zuckerguss über der modrigen Fülle
des oft zitierten Punschkrapferls der Gesellschaft auf und legt einen Schoß offen, "aus dem das alles kroch und der immer noch fruchtbar ist" (Brecht).
Die angebliche pluralistisch-liberale Gesellschaft, in der sich grade meine Boomer-Generation so lange so sicher fühlen konnte, ist auf Sand gebaut. Das Poppersche "Toleranz-Paradoxon"
funktioniert nicht (mehr), denn die Toleranten lassen die Intoleranten so sehr gewähren, dass die Rauchwolken des Verschwindens der Toleranz und ihrer Trümmer schon am Horizont
aufsteigen.
Das für mich am schmerzhaftesten Unerträgliche ist die Erkenntnis, dass der worst case dann eingetreten ist, wenn die Faschisten einmal recht haben.
In den USA, wo die Extreme schon so oft ihre Probe abhielten, bevor sie sich in der Welt verbreiteten, hat tatsächlich auf den Universitäten und in den liberalen Zirkeln eine unerträgliche Arroganz des Moralisierens Platz gegriffen, die fast zwangsläufig den wütenden Protest der Rechtsextremen und auch der Konservativen provozierte. Eine die Gesetze des Diskurses verhöhnende Monokausalität in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung widerspricht allem, was die Freiheit des Gedankens ausmacht. Nichts, aber auch gar nichts, ist allein und ausschließlich auf Rassismus, Chauvinismus, Kolonialismus, ... und was weiß ich, welche "Ismen" noch alles, zurückzuführen.
Genau diese erbärmliche Verengung treibt aber die Wokeness an und genau damit hat sie sich auf das Feld der Reaktionären gewagt, wo diese nun wirklich die Gesetze des Primitiven besser
beherrschen, als irgendwer sonst.
Und nun haben wir den "Kulturkampf" und den werden die Woken verlieren und mit ihnen auch jene, die schon eine Weile die Auswüchse der wechselseitigen Radikalisierung mit Angst und Sorge
beobachten.
All das und noch viel mehr drängt mit beklemmender Hartnäckigkeit an die Oberfläche und wird von vielen durchgewunken, von denen ich mir resoluten Widerspruch und auch Widerstand erwartet
hätte.
Der "false balance" wurde ein Scheunentor der Indifferenz geöffnet, wo es verrückterweise heißt: "Wir müssen diese Ideen und Meinungen abbilden, denn sie existieren ja." Dann ist es nicht
mehr weit bis zur "Abbildung" der Flat-Earther, der Gläubigen an die Echsenmenschen und der Faktenverdreher der alternativen Wahrheiten, denn die existieren ja auch.
Das ist mir zu toxisch.
Nun läuft dieses Experiment und ich erhoffe mir davon Schutz und Abschottung vom Irrsinn und dem Aberwitz.
Ich werde berichten.
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