Norwegen. Finale Blitzlichter.

"Fram". Das Schiff zum Nordpol.
"Fram". Das Schiff zum Nordpol.

Norwegen. Kann man lieben.
Der typische spröde skandinavische Charme des Landes "umarmt" einen umso mehr, je länger man hier ist. Als wir drei Wochen nach unserer Ankunft im Land wieder nach Oslo kamen, waren uns Bilder und Geräusche des Landes schon angenehm vertraut. Nur die Seemöven sprechen einen anderen Dialekt, als in Bergen. In Oslo kreischen sie hysterischer, in Bergen singen sie schöner.
Eineinhalb Tage vor unserer Abreise wage ich mich an ein paar beinahe willkürliche Blitzlichter, die auf unserer Fahrt durch den Bauch der geografischen Kaulquappe auf meinem Radar geblinkt haben.
Alles unter massivem Subjektivitäts-Verdacht, dafür aber aus reinem Herzen und großer Zuneigung geschrieben.

Wir haben weder in den Städten und auch nicht am Land Norweger*innen gesehen, die im Alltag die durchaus sehr schöne einheimische Tracht getragen haben. Ausnahme: Hochzeiten und andere ähnliche Feiern. Und Areale, wo "historische Doku" angeboten wird. Ein großer Unterschied jedenfalls zu Österreich, wo das Tragen von Tracht durchaus zum Alltag gehört - in den Städten mehr, als am Land. Und wo die Tracht oft auch als patriotisches optisches Signal eingesetzt wird.
Gleichzeitig mangelt es den Norweger*innen keinesfalls an Patriotismus. Speziell in den kleinen Gemeinden weht vor faktisch jedem Haus auf einem gut postierten Fahnenmast die norwegische Flagge.
Ähnliches haben wir schon letztes Jahr in Schweden gesehen.

Oslo ist die größte Stadt des Landes, es gibt aber keine zweite große Stadt, die da einigermaßen mithalten könnte. Das kann man auf Wien und Österreich bezogen übrigens auch sagen. Der Unterschied:
In Oslo gibt es kaum imperialen Prunk, wie in Paris, Berlin, Rom, London und auch in Wien.
Hier regiert eine "stille Größe" - auch das haben wir in Stockholm oder auch in Göteborg gesehen. Weniger in Kopenhagen, das uns in seiner sehr bunten, durchaus auch lautstarken und ein bisschen nervösen Atmosphäre an Berlin erinnert hat.

Oslo hat Mut zu einer sehr markanten modernen Architektur. Das "dramatischeste" Beispiel ist die Oper, auch das Munch-Museum hat eine eigene sehr spezielle Note.

Große Ähnlichkeit mit Bauprojekten, die wir fast genauso in Wien und Hamburg gesehen haben, erkennt man bei gentrifizierten Stadtvierteln - zum Beispiel die Gegend hinter der Oper. Da ist so ein Schuhschachtel-Design, das optisch recht gefällig ist, aber dann doch schnell austauschbar ist. Das müssen sich sehr viele Häuser, die aus der Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert stammen, nicht nachsagen lassen. Da gibt es sogar deutliche Unterschiede zum schwedischen Nachbarn. Was dort "rot" ist, ist in Norwegen "weiß" (oder gelb oder hellbraun). Und in Norwegen traut man sich auch über manchmal überladene Schnörksel bei Fenstern und Balkonen oder - besonders schön in Alesund - über Jugendstil drüber.

Essen und Trinken.
Uns hats geschmeckt. Immer und überall.
Natürlich haben wir mit Vorliebe Fisch und Meeresfrüchte gegessen. Die wurden immer sehr liebevoll und köstlich zubereitet.
Das Service-Personal in den Restaurants ist durchgehend sehr freundlich und kompetent und kann sich ganz problemlos auf Englisch verständigen.
Ein Sonderthema ist der Kaffee. Obwohl es überdurchschnittlich viele italienische Lokale gibt - wirklich ganz auffällig viele! - beziehen die Betreiber den Kaffee offensichtlich nicht aus Italien, sondern - wie in Schweden auch - aus nordischen Röstereien. Daraus resultieren wirklich grausliche Säureattentate, die niemand, der jemals einen italienischen Espresso oder eine österreichische Melange getrunken hat, ohne Schwierigkeiten runterkriegt. Und ein bissi geiziger als die Schweden sind die norwegischen Gastronome auch. Nur ein einziges Mal durften wir den üblichen Filterkaffee in einem Kafe am Land gratis konsumieren, sonst nirgends, wo auch immer wir hinkamen.
Gratis-Filterkaffee ist für die schwedischen Wirt*innen eine Selbstverständlichkeit.

In Oslo gibt es ein Holocaust-Museum.
Wir waren nicht drin. Aber wir wurden auf einer Hop-on/Hop-off Sightseeing-Fahrt auf eine unrühmliche Seite der Norweger*innen während der Nazi-Besetzung ab 1940 aufmerksam gemacht und ich hab ein bisschen recherchiert.
Es gab/gibt in Norwegen zwei jüdische Gemeinden. In Oslo und in Trondheim. Etwa die Hälfte der jüdischen Norweger*innen konnte durch den norwegischen Widerstand nach Schweden gerettet werden.
Die andere Hälfte wurde durch einen Akt der Willfährigkeit der norwegischen Behörden gegenüber den Nazis durch diese kooperierenden Behörden verhaftet und auf ein deutsches Schiff gebracht (die "MS Donau"). Erst dort wurden die 770 Juden und Jüdinnen von deutschen Bewachern übernommen. Nur ein Dutzend überlebte die Konzentrationslager, in die sie gebracht wurden.
Aus Scham haben die Norweger ein Denkmal errichtet, das zerbrochene Stühle zeigt, die den Verlust des Zuhauses und der Solidarität mit den jüdischen Mitbürger*innen symbolisieren sollen.
(Wie so oft auch anderswo hat es Jahrzehnte gedauert, bis die einseitigen "nationalen Legenden" des Opferstatus und des Widerstands einer reflektierten Gesamtbetrachtung gewichen sind.)

Religion.
Was mich als begeisterten Anhänger der Aufklärung und der Säkularität ganz besonders freut: Es gibt - so wie in Schweden auch - in Norwegen keine Staatsreligion. Ungefähr 65 Prozent der Bevölkerung gehören der norwegischen Kirche an, die zwar lutherische Wurzeln hat, sich aber in den Kirchen sehr bildhaft artikuliert. Am Land gibt es sehr viele der typischen skandinavischen Kirchen, von denen die meisten von sehr friedlich anmutenden Friedhöfen umsäumt sind. Die Gräber haben durchwegs Grabsteine, verzichten aber auf den bei uns oft sehr prunkvollen Gestaltungs-Anspruch. Mag ich. Auch, dass der Religion im äußerlichen gesellschaftlichen Leben keine plakative Dominanz gegeben wird. Säkular. Wie es eben sein soll.

Frauenrechte.
Nach allem, was wir bisher erfahren konnten, ist die norwegische Gesellschaft - so wie die schwedische - sehr darauf bedacht, Gleichberechtigung von Chancen und Positionen zu erreichen. Eine der unterstützenden Maßnahmen sind 80% des letzten Gehalts über die Dauer von 16 Monaten für junge Mütter. Fühlt sich gut und richtig an.

Gabi und ich haben seit Beginn unseres gemeinsamen Lebens einen Deal: Ich - der change-averse Wiederholungstäter - darf jeden zweiten Urlaub einen Ort aussuchen, wo wir schon einmal waren. Gabi, die Abwechslung liebt, ist dafür jedes zweite Mal mit einer neuen Destination dran.
Norwegen steht bereits Schlange in meiner Wiederholungsliste. 

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Kommentare: 4
  • #1

    Theo (Donnerstag, 24 Juli 2025 17:58)

    Mein Lieber , da kann ich ja nur hoffen das sich Schweden nicht vordrängelt ���enjoy the rest of your amazing trip.

  • #2

    Inge (Donnerstag, 24 Juli 2025 19:03)

    Ihr Lieben! Sooo eine tolle Reisebeschreibung von euch beiden-ich bin quasi mit euch gereist-Gabi hat viele Erlebnisse wunderbar gefühlvoll erzählt, und du lieber Hannes, hast super, kurz und bündig, alles zusammengefasst und auf den Punkt gebracht. Wirklich perfekt!
    Schöne Tage, habt noch viel Spass und kommt wieder gut nach Hause! Alles Liebe Inge&Eugen �

  • #3

    Inge (Donnerstag, 24 Juli 2025 19:04)

    Nachtrag: Danke dafür!!! Hab ich vergessen! LG

  • #4

    Hannes Sonnberger (Donnerstag, 24 Juli 2025 21:51)

    @ Theo: Vor der nächsten Wahl der Urlaubs-Destination müssen wir beide uns zu eingehenden Beratungen treffen <3

    @ Inge: Danke für Dein liebes Feedback! Ich freu mich sehr!