30 Jahre Vorsprung.

30 Jahre Glatze.
30 Jahre Glatze.

Als Boomer hat man sich ja schon daran gewöhnt, als Fossil eingeordnet zu werden. Schließlich waren wir ja die, denen die fossilen Brennstoffe aus allen Poren geronnen sind und die mit Treibgasen das Ozonloch aufgerissen haben.
Ganz zu schweigen von ungezählten weiteren Versündigungen, die wir uns gegönnt haben.

Apropos Versündigung: Unsere ersten sexuellen Abenteuer fanden vor den ersten breit bekannten AIDS-Fällen statt - wir waren also sehr unbekümmert, weil das Schlimmste, das uns passieren konnte, war ein Tripper oder Filzläuse. Beides recht unkompliziert und ohne bleibende Schäden behandelbar.
Ach ja, Filzläuse: Stand neulich in der Zeitung, dass die angeblich aussterben, weil die Kultur der Ganzkörperenthaarung den Krabblern ihr Biotop entzieht. Dafür sind die "traditionellen" Geschlechtskrankheiten wieder im Vormarsch. Irgendwo scheint sich die derzeit junge Generation ja doch noch ihren Spaß zu holen, bei all den korrekten und korrektiven Verboten, die sie sich auferlegt.

Kürzlich erschien auf LinkedIn ein Post, in dem eine Repräsentantin der GenZ berichtete, dass sie auf einer griechischen Insel im Urlaub mit einem Leihwagen unterwegs war und nicht wusste, dass das rote Warnlämpchen auf die nicht gelöste Handbremse hinwies. Handbremse? What?
Gibt ja jetzt für alles eine Taste und da kommt einem so ein altmodischer Hebel schon einmal ein bisschen spanisch bzw. griechisch vor.

So wie es mir neulich nicht gelungen ist, den Rückspiegel in einem sehr digitalisierten Automobil nachzujustieren, weil das gute Stück nur über eine App im Auto ansteuerbar war und auf meine naiven manuellen Versuche nur mit Bockigkeit reagierte.

Die Frage, die man sich als über der 60er-Mitte Lebender stellt bzw. stellen muss, ist immer öfter: Bin ich eigentlich den jüngeren Generationen hinten nach oder in Wahrheit voraus?
Bezogen auf den Durchlauf in der Sanduhr des Lebens ganz sicher uneinholbar voraus.
Was ich in Zeiten wie diesen durchaus für einen Vorteil halte, denn wer will schon den größeren Rest seines Lebens im immer wahrscheinlicher werdenden Totalitarismus verbringen?

Aber nicht nur in dieser dystopischen Perspektive. Mit immer mehr Gelassenheit wird mir klar, dass ich ganz bestimmte Probleme und Aufgaben, die den nachrückenden Generationen altersmäßig unvermeidbar bevorstehen, einfach schon hinter mir habe. Und ich weiß einfach, dass diese Themen jenen sehr ähnlich sind, die ich selbst im gleichen jungen Lebensalter zu knacken hatte und aus dieser Praxis ist mir sehr deutlich klar, was funktioniert und was nicht.

Selbstverständlich sind diese Argumente für die aktuell Betroffenen hochgradig wertlos, weil sie halt reflexartig in die Schublade "told you so" gelegt werden. Aber: Aus vielen Gelegenheiten weiß ich auch etwas Anderes.
Die ignorierten vorauseilenden Hinweise zur "Bedienung des Lebens" sind dann Gold wert, wenn es einmal im Fall des Scheiterns um so etwas Feinstoffliches wie Trost geht.
Da lässt sich der Generationen-Vorsprung ganz hervorragend lukrieren, denn ohne so eine Schulter, an der man sich vertrauensvoll ausweinen darf, wäre das ganze lange aktuelle und noch nicht gelebte Leben einfach trostlos. 

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