Umdenken.

Ein Jahr mehr in den Jahresringen meiner Eiche. 

Ja, ich erlaube mir, von einer Eiche zu schreiben. 

Und nicht etwa von einer Trauerweide. Oder von einer Birke, die Tapetenwechsel braucht und sich in der Dämmerung auf den Weg macht (copyright: Hildegard Knef). Eine Eiche also.

Mit der assoziiert man ja recht gern sowas wie "knorrig". Das könnte dann auf ösisch auch in Richtung "grantig" abbiegen. Oder auf Englisch zu "grumpy". Und tatsächlich: Diese Optionen sind verflucht verführerisch.
Weil sie Klischees bedienen vom alten Grantscherbm, dem man nichts recht machen kann. Der schon alles gesehen hat und angeödet ist vom kolibrihaften Flügelschlag des krampfhaft Neuen, während sich die ersten Wortfindungs-Störungen durchaus lästig einschleichen. 

Und die alten Erfolgsmuster funktionieren nicht (mehr), obwohl sie doch tatsächlich und objektiv die besseren sind. Das kann schon ganz schön verdrießlich sein und die Gesetzmäßigkeiten von Ursache und Wirkung gehörig auf den Kopf stellen. Selffulfilling prophecy im Selbstversuch quasi.

Und dann ist Geburtstag.
Die Wunderbarste unter der Sonne ist liebevoll und zärtlich und fürsorglich und durchorganisiert bis in die hinterste Überraschungsritze - alles halt, was sie zur Wunderbarsten unter der Sonne macht.

Die Lebens-Freundin, die Dir der Himmel vor eineinhalb Jahren geschenkt hat, lädt Dich ein und Du bist aufgehoben in einer Verbindung, die sich wie Jahrzehnte anfühlt.

Und der Allerbesteste Freund von allen ist genau so, wie seit 47 Jahren und findet schlafwandlerisch den "crack in everything", durch den das Licht reinkommt.
Er erzählt Geschichten von Deiner Mutter.
So wie er sie erlebt und gemocht hat. Und seine Frau assistiert in ihrer Herzensgüte. 

Und der Freund, der Herzensmensch, massiert Dir genau das ein, wovon Du immer sprichst - und es selbst so schlecht kannst: Den Verdacht, es könnte alles auch ganz anders sein. Und tief in Deinen Eichen-Jahresringen zählst Du die Traumata und die durchweinten Nächte und der Freund schmiert Dir heilendes, warmes Harz drüber und schaut Dich dabei an, wie damals in der "Palme" um halb zwei in der Früh.

Und Du triffst Deine Erstgeborene, die Großartige. Sie gibt Dir mit einzigartiger Hartnäckigkeit das Gefühl, "ihr" Papa zu sein und Du spürst, wie etwas in Dir weich wird und zart und zugleich merkst Du so etwas wie Bedeutsamkeit, die Dich überdauern wird.

Und Deine Patchwork-Liebsten kommen zur Jause und es ist wie gemeinsam daheim sein. Das Bäuchlein, in dem der vierte Beute-Enkel wohnt, spannt sich und alle freuen sich auf das neue Leben, während die älteste Enkelin, die sich vor mehr als 8 Jahren in Dein Herz eingraviert hat, auf der Couch knotzt und liest. Und liest. Und liest. Und Du denkst, Dein Herz möchte grade auf tausende kleine Freudensplitter zerspringen.

Und die Freunde Deiner Liebsten umfangen Dich, 

als wärest DU mit ihnen schon in die Volksschule gegangen und sie schenken Dir Bücher. So, als wüssten sie genau, was gut für Dich ist. Und sie wissen es. Ganz genau.

Und dann legt Dir Deine Wunderbarste ihren Kopf auf Deine Schulter und wünscht sich und Dir, dass Du ab morgen nicht 10 Minuten nach dem Aufstehen die erste Zornesfalte aufziehst, weil Du nicht widerstehen konntest, den Schlagzeilen zu viel Raum zu gewähren.
Du spürst in allen Fasern, wie recht sie hat.

Weil zwei Stunden vorher hattest Du die selbe Ahnung über Dich, als Du im Büro auf der Couch lümmelnd den zweiten Espresso geschlürft hast. 


Als Dir klar wurde, dass alle, die nun jene Ideen und Leitgedanken und Prinzipien und Prozesse, die Du seit 40 Jahren kennst, weil sie schon 80 Jahre alt sind, für neu und cool und game-changing und breathtaking und the next big thing halten, das wirklich so meinen, weil sie es halt als neu wahrnehmen und das selbe Prickeln im Nervengeflecht spüren, wie Du, als Du all das selbst zum ersten Mal erlebtest.

Und all die Liebe, die Herzenswärme, die Leichtigkeit, die Lust und die Freude, die Dir an Deinem Geburtstag geschenkt wurde, wabert in Dir von einem Herzkranzgefäß ins nächste und flüstert Dir zu:


Hey, Du bist ab sofort nicht mehr weise, weil Du so vieles kennst und erlebt hast, sondern weil Du "das Andere" - solange es mit guten Absichten unterwegs ist - als Deine Nachbarschaft einordnest, das in Frieden mit Dir leben will. Weil Du selbst gute Absichten hast. 


Weil das Deine Leitwährung ist, die Dein Tun und Dein Wollen absichert. 

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Kommentare: 3
  • #1

    Herbert (Montag, 26 Mai 2025 13:15)

    Eine wunderbare und bedeutsame Miniatur. Kleine „Ergänzung“: Du musstest nicht „alt“ werden, um weise zu sein. Denn dies bist du schon lange�, mein lieber Freund

  • #2

    Bettina (Montag, 26 Mai 2025 15:14)

    Ein wunderschöner Text, der sich wundervoll stimmig anfühlt. Die wichtigste Erkenntnis überhaupt - weil sie schafft Frieden in einem selbst und setzt viel positive Energie frei: "das Andere" - solange es mit guten Absichten unterwegs ist - als Deine Nachbarschaft einordnen, das in Frieden mit Dir leben will. Weil Du selbst gute Absichten hast.
    Happy birthday noch einmal. :-)

  • #3

    Guenter Ranftl (Dienstag, 27 Mai 2025 09:27)

    Herzliche Glückwünsche, der Sonnenschein der Familie und deiner freundschaftlichen Entourage möge Dir noch lange leuchten, es tut einfach gut, von den Liebsten umgeben in Frieden feiern zu können!